Druckindustrie: Die Krise der KMU

Veröffentlicht von Claus van den Berg am

Kleine, traditionelle Industriebetriebe im rezessionsgeplagten Deutschland wanken

Kleine, traditionelle Industriebetriebe im rezessionsgeplagten Deutschland wanken

Die vor allem in Kleinstädten angesiedelten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, bekommen den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Landes mit voller Wucht zu spüren. Davon ist auch die deutsche Druckbranche massiv betroffen.

Wie im März Forum der IOP – Initiative Online Print zu hören war, hat sich die deutsche Druckbranche binnen 7 Jahren schlicht halbiert. Der Trend wird bestätigt von aktuellen Insolvenzen von namhaften Unternehmen wie z.B. TSB, die zwar – wie den Fachmedien zu entnehmen war – „nur noch“ 186 Mitarbeiter hat – wobei dort völlig übersehen wurde, dass damit auch die Existenz der Begleitunternehmen am Standort mit hunderten weiterer Beschäftigter endet. Oder die Betriebseinstellung von Bagel-Roto auf dem platten Land nahe Leipzig, wo es kaum adäquate neue Jobs gibt.

Abschwung setzt sich fort

Insgesamt schrumpft die deutsche Druckbranche seit Jahren kontinuierlich. Extrem war das Jahr 2022 auf 2023 mit dem Verlust von mehr als 25% des Volumens, wie bei der IOP gesagt wurde. Aber auch von 23 auf 24 setzte sich der Abschwung weiter fort. Sicher gibt es „hausgemachte“ Branchenprobleme (wie der fast halbjährige Streik bei UPM 2022) mit den Lieferketten und Preisexplosionsthemen. Verstärkt natürlich durch den seit über zwei Jahren andauernden Krieg der Russen gegen die Ukraine. Hinzu kommen von der deutschen Politik verursachte Themen, wie ein Blick über den Branchenzaun zeigt, den die französische Zeitung „Le Monde“ gewagt hat:

Die Aluminiumgießerei Roeders hat seit ihrer Gründung im Jahr 1814 im niedersächsischen Soltau vielfach verändert und angepasst. Davon zeugen eine hundert Jahre alte Karaffe, ein Kameragehäuse, ein Revolvergriff und vor allem unzählige Karosserie- und Motorteile. Doch all dieser Krimskrams zeugt von dem großen Know-how, das seit sechs Generationen in Familienbesitz ist, aufgebaut, hat. Der heutige Chef, Gerd Roeders, lernte schon in jungen Jahren, wie es sich anfühlt, wenn der Markt umkippt. „Eines Sonntags sah ich, wie mein Vater buchstäblich vor mir zusammenbrach. Es war herzzerreißend. Damals stellten wir viele Kameragehäuse her. Quasi über Nacht hatten alle deutschen Hersteller die Segel gestrichen: Die Japaner hatten den Markt mit ihren batteriebetriebenen Automatikkameras erobert! Wir waren zu 60 % von diesem Geschäft abhängig…“.

Zeit der Krisen

Damals ist die Roeders-Gießerei nur knapp dem Bankrott entgangen. Aber die Erinnerung an diese schmerzhafte Episode hat Gerd nie losgelassen. In den letzten Monaten, als das Unternehmen, das 500 Mitarbeiter beschäftigt und einen Umsatz von 60 Millionen Euro erwirtschaftet, unter der Wucht eines doppelten Schocks zu leiden hatte, kam sie mit voller Wucht zurück: die Energiekrise, die verbrauchsintensive Industrien wie die Gießereien in Mitleidenschaft zieht, und die Krise in der Automobilbranche, seinem Hauptkunden, die von den Herausforderungen des Übergangs zu Elektroautos erschüttert wird. Im vorletzten Winter wurde die Situation extrem kritisch, als die Energiepreise explodierten und die Bestellungen für Autos einbrachen“, erzählt Gerd. Also gingen wir zu den Autoherstellern und verlangten eine Erhöhung der Einkaufspreise für unsere Teile. Wir spielten mit harten Bandagen, drohten mit Lieferstopps und Konkurs, weil sie dann keine Zeit mehr hätten, auf die Konkurrenz umzusteigen. Und wir haben uns durchgesetzt“.

Große Umstrukturierungen

Nicht alle von ihnen haben der Flutwelle von Pleiten, die durch die deutsche Industrie geht, standgehalten. Laut der Fachinformationsseite Creditreform stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2023 um 23 % gegenüber dem Vorjahr. In der Industrie betrug der Anstieg 30 %. Der Trend könnte sich noch beschleunigen.

Die großen Automobilzulieferer, traditionelle Auftraggeber der kleinen und mittleren Unternehmen, haben große Umstrukturierungen eingeleitet, um ihre Kosten zu senken: dreitausend Arbeitsplätze gehen bei Bosch verloren, siebentausend bei Continental, 6 Milliarden Euro sollen bei ZF eingespart werden. Ein weiteres Vorzeigeunternehmen ist der Hersteller von Luxus-Haushaltsgeräten Miele, der den Abbau von 2700 Arbeitsplätzen und die Verlagerung des Großteils der deutschen Produktion nach Polen, wo die Arbeitskosten niedriger sind, angekündigt hat.

Alle verweisen auf die schwache Weltkonjunktur, insbesondere in China, die steigenden Kosten und die beträchtlichen Investitionen im Rahmen der Stromumstellung, die angesichts hoher Zinsen und schwacher Nachfrage schwer zu finanzieren sind. Ende Februar korrigierte die deutsche Regierung ihre Wachstumsprognosen drastisch nach unten: Für 2024 werden 0,2 % erwartet, während bisher 1,3 % vorausgesagt wurden. Eine „dramatisch schlechte“ Entwicklung, wie selbst Wirtschaftsminister Robert Habeck einräumte.

Für die kleinen Automobilzulieferer ist das der Anfang vom Ende“, sagt Jonas Eckart, Experte für Unternehmensrestrukturierungen bei Falkenberg. Diejenigen, die unter der 100-Millionen-Umsatzgrenze liegen und auf Verbrennungsmotoren spezialisiert sind, sind durch das angekündigte Ende dieser Technologie im Jahr 2035 direkt bedroht. Natürlich gibt es immer Möglichkeiten, sein Know-how und seine Technik zu nutzen, um andere Produkte zu entwickeln. Aber wenn man nicht über die kritische Größe verfügt, ist es sehr schwierig, den Übergang erfolgreich zu gestalten.“ Auch außerhalb der Motorisierung leiden einige größere Automobilzulieferer: Eissmann, ein auf Innenausstattungen spezialisiertes Unternehmen mit einem Umsatz von 365 Millionen Euro und 5.000 Beschäftigten, davon 1.000 in Deutschland, kündigte Anfang März an, dass es Insolvenz anmelden werde.

Die Gießerei Roeders konnte sich trotz ihrer Größe bislang behaupten, weil sie sich auf Nischenteile spezialisiert hat, die nach Maß für den Kunden entworfen und in kleinen Serien mit hochmodernen Legierungen hergestellt werden. “ Getreu der Erinnerung an die Kamerakrise hat er seine Produkte und Kunden diversifiziert: Er produziert für Verbrennungs- und Elektrofahrzeuge, aber auch für die Medizintechnik und die Luftfahrtindustrie.

Familiäre Atmosphäre als Zukunftsgarant

Der Erfindungsreichtum der Teams, der durch die sehr familiäre Atmosphäre des Unternehmens begünstigt wird, ist ebenfalls ein Wettbewerbsfaktor, betont er. So habe das Unternehmen während der Krise eine Produktionsweise entwickelt, mit der es seinen Gasverbrauch um 38 % senken konnte. „Aber wie lange können wir das bei diesen strukturell hohen Preisen in Deutschland und dem Mangel an Arbeitskräften durchhalten? Unsere Produktionsstätte in der Tschechischen Republik produziert bereits zehnmal so viel Aluminium wie hier. In Deutschland muss etwas passieren, und zwar schnell. Unser ganzes Modell ist bedroht“.

Das Thema ist hochpolitisch. Die Roeders-Gießerei ist typisch für den deutschen „Mittelstand“, jenes Geflecht aus kleinen bis mittelgroßen Unternehmen, das die Stärke des deutschen Kapitalismus ausmacht. Die Definition dieses Begriffs, der spezifisch für den deutschsprachigen Raum ist, ist eher kulturell als statistisch. Die Europäische Union beschränkt die Definition von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auf 50 Millionen Jahresumsatz und 250 Beschäftigte, doch in Deutschland bezeichnen sich die meisten der weitaus größeren, in Familienbesitz befindlichen mittelständischen Unternehmen als Mittelstand.

Was sie eint, ist eine langfristige Vision, das Kapital und die Führung sind häufig in Familienbesitz, sie sind sehr flexibel in Bezug auf Marktentwicklungen, ihre Führungskräfte sind mit einer Region verbunden und die Beschäftigten identifizieren sich stark mit dem Unternehmen. Viele sind im ländlichen Raum angesiedelt und bilden ihre Lehrlinge vor Ort aus. Auf diese Weise verteilen sie Investitionen, Forschung und Entwicklung und die Schaffung von Wohlstand auf einen großen Teil des Landes. In Soltau, einer Kleinstadt mit zwanzigtausend Einwohnern zwischen Hannover und Hamburg, hängen mehrere hundert Haushalte vom Wohlergehen der Roeders-Unternehmen ab: Gerd, der zusammen mit seinem Cousin Andreas die Gießerei leitet, und der andere Zweig der Familie, der unter dem Markennamen Roeders TEC Fräsmaschinen herstellt.

Der Mittelstand ist größter Arbeitgeber und trägt fast 2/3 der Nettowertschöpfung

Nach den Zahlen des Forschungsinstituts für den Mittelstand aus dem Jahr 2021

  • erwirtschaften die deutschen KMU jährlich mehr als 2,4 Billionen Euro Umsatz, das sind mehr als 31 % aller Unternehmen in Deutschland.
  • Sie tragen zu etwa 61% der gesamten Nettowertschöpfung aller Unternehmen bei.
  • KMU beschäftigen neunzehn Millionen Menschen, das sind mehr als 54 % aller Arbeitnehmer und mehr als 70 % aller Auszubildenden.
  • Im Jahr 2020 investierten die KMU jährlich mehr als 7 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung.

Wenn man die mittelständischen Familienunternehmen mit einem Umsatz von bis zu mehreren Milliarden hinzuzählt, trägt der Mittelstand entscheidend zum deutschen Wohlstand bei.

Ein großer Übergang

Wie viele dieser Unternehmen sind in Deutschland bedroht? Wie viele werden sich anpassen können? Die laufenden Insolvenzen und Standortverlagerungen unter den kleinsten unter ihnen sind ein Indikator für einen großen Übergang in der deutschen Industrie, aber auch für den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Landes im Allgemeinen. Die Ursachen liegen bei weitem nicht nur in der inzwischen volatilen Energieversorgung.

Die Arbeitskosten, getrieben durch den Mangel an Arbeitskräften und den Anstieg der Sozialausgaben aufgrund der Bevölkerungsalterung, fallen ebenfalls ins Gewicht. Der Unternehmenssteuersatz liegt mit 29,9 % mittlerweile weit über dem Niveau von Ländern wie den USA, der Schweiz oder auch Frankreich. Der öffentliche Investitionsstau in den letzten Jahren hat die Infrastruktur ernsthaft ausgehöhlt und das Bildungssystem geschwächt.

Hinzu kommt die Frustration von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Der Grund: die gefühlte Inflation von Vorschriften und Genehmigungen, die den Unternehmen auferlegt werden. Olgierd Lemanski, ein polnischstämmiger Ingenieur und Produktionsleiter bei Roeders, ist verärgert: „Diese ganze Verwaltung ist ein Motivationskiller. Man hat den Eindruck, dass einige Politiker Technologien aufzwingen, ohne eine Ahnung von den Folgen zu haben, ohne Vertrauen in die Innovationsfähigkeit der Unternehmen.

Bürokratischer Irrsinn: „Das ist absurd!“

Seit einigen Monaten arbeitet er an einem Projekt für einen wasserstoffbetriebenen Ofen, der den Kohlenstoffausstoß der Gießerei senken würde. „Ich bin in der Lage, eine neue Produktionsmethode zu erfinden, aber ich fühle mich von der ganzen Bürokratie, die nötig ist, um sie patentieren zu lassen, überfordert! Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir experimentieren, aber das ist immer schwieriger geworden“, bedauert er. „Alle wollen die Transformation hin zur CO2-freien Produktion“, fügt Roeders hinzu. Aber darf ich einen Wasserstofftank neben der Fabrik haben? Wie lange wird die Genehmigung dauern? Das sind sehr belastende Unsicherheiten für ein Unternehmen wie unseres“.

Auch andere Verpflichtungen belasten die Finanzen der Gießerei. In Soltau braucht man, damit die Fabrik produzieren kann, einen Datenschutzbeauftragten, einen Beauftragten für die Gleichstellung von Frauen und Männern, einen Beauftragten für die Sicherheit der Strahlenmaschine, einen Abfallbeauftragten und einen Beauftragten für nachhaltige Entwicklung. “ Insgesamt neununddreißig Experten! Alle müssen geschult werden, Berichte erstellen, die nichts mit der Produktion zu tun haben. Das ist doch absurd! Wir leiden unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, aber wenn man diejenigen, die sich mit Bürokratie beschäftigen, freistellen würde, wäre das Problem viel weniger akut. Nachhaltigkeit sind nicht die Berichte, sondern die Tatsache, dass wir seit zweihundert Jahren den Menschen in der Region Arbeit geben“, ärgert sich Roeders.

Quo vadis Druckbranche?

Die Druckbranche wird weiter schrumpfen, daran ändert sich absehbar nichts. Zu sehr erfolgreich war in den letzten Jahren auch das „Greenwashing“ der Digitalbranche und der GAFAs. Diese hat es geschafft sich – trotz des immensen Energieverbrauchs für die Server und deren Kühlung – sich als grün und nachhaltig darzustellen. Der Erfolg ist so groß, dass sich IKEA, OBI und auch REWE entschlossen haben, keine Katalog- oder Flyerwerbung mehr zu machen. Auch wenn dies bei dem deutschen Lebensmitteleinzelhändler in Hintergrundgesprächen heißt, dass man statt der 5 Mio Euro für die gedruckte Flyerwerbung, nun 25 Mio Euro für IT und Zeitungswerbung ausgeben muß, um die Umsatzverluste in Grenzen zu halten.

Die Unternehmensberatung Apenberg & Partner hat im Februar ihre große Studie zur Druckbranche vorgelegt. Diese zeigt, dass es Wachstum nur noch im Verpackungsbereich ist. Alle anderen Bereiche stagnieren oder sinken. Letzteres gilt auch für den Etikettenbereich in dem ja einige Hersteller noch in den letzten Jahre große Kapazitäten aufgebaut haben im Vertrauen auf prognostizierte Wachstumzahlen.

Für die Druckunternehmen bedeutet dies, daß es man in Nischen sehr erfolgreich sein kann. Alle anderen Unternehmen, die am Ende „MeToo“-Produkte produzieren müssen sich weiter professionalisieren. Dabei helfen echte Verbundgruppen wie EKDD – Einkaufskontor Deutscher Druckereien eG mit einem professionellen günstigen Einkauf von Bedruckstoffen, der digitalen Beschaffung von allen Randprodukten und notwendigen Services sehr. Kooperation macht vieles möglich und einfacher, so auch die notwendige Vernetzung mit den Kunden – z:B. via OnlineShops.


Claus van den Berg

Claus van den Berg ist seit Jahren interdisziplinär tätig. Dabei arbeitet er als Coach und berät Unternehmen, sowie Institutionen und Verbände. Sein Fokus liegt dabei auf den Menschen, ohne dabei Zahlen und Fakten außer acht zu lassen. Sein Ziel ist es Unternehmerinnen und Unternehmern aus Produktion, Dienstleistung und Industrie auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu begleiten.