Gesucht: Der Sparkommissar

Veröffentlicht von Claus van den Berg am

Von den Verhältnissen der Hyperinflation sind wir unendlich weit entfernt, dennoch: Die Staatsfinanzen müssen auch heute gehörig aufgeräumt werden. Ein Fall für einen neuen Sparkommissar?

Kennen Sie eigentlich Friedrich E. M. Saemisch?

Vor gut einhundert Jahren rutschte Deutschland in die Hyperinflation ab. So berief die deutsche Regierung den damaligen Präsidenten des Rechnungshofs, Friedrich E. M. Saemisch, zum Sparkommissar, der im Staatshaushalt rigoros aufräumen sollte. Es war die Zeit, als die Preise in Deutschland nicht monatlich stiegen, nicht täglich, sondern stündlich – bis ein US-Dollar am 31. Oktober 1923 schließlich mit einem Kurs von 72 Milliarden Mark gehandelt wurde. Von diesen Verhältnissen sind wir derzeit zwar unendlich weit entfernt, dennoch: Die Staatsfinanzen müssen auch heute gehörig aufgeräumt werden. Ein Fall für einen neuen Sparkommissar?

Der Doppelschock von Trump-Wahl und Ampel-Aus ist kaum verwunden und nach langwierigem, parteipolitischem Taktieren wissen wir, dass wir acht Tage vor Rosenmontag, am 23. Februar 2025,  ein neues Parlament wählen dürfen. Ich persönlich habe den Vorzug, am Wahltag abends bei einer Karnevalsveranstaltung zu sein. Auf den politischen Teil der Fasnet-Vorträge freue ich mich schon heute. Was dann absehbar folgen wird, wird sicherlich weniger lustig. Denn eine neue, tragfähige Regierung zu bilden, die wieder etwas für die Mehrheit der Bürger und vor allem die Wirtschaft tut, wird eine große, herausfordernde Aufgabe für alle Beteiligten.

Schockwellen ins System

Donald Trump, der für viele das Zerrbild eines Politikers ist, hat in der letzten Woche einen „coolen Move“ gemacht: Er hat Elon Musk zum Chef der Behörde gemacht worden, die Bürokratie abbauen, übermäßige Regulierungen abschaffen, verschwenderische Ausgaben kürzen und Bundesbehörden umstrukturieren soll. „Das wird Schockwellen durch das System senden“, kündigte Musk bereits an. Denn die Bürokratie und der aufgeblähte Staatsapparat sind auch in den Vereinigten Staaten ein gewaltiger Hinderungspunkt für Wachstum und Kreativität.

Extrem hoher Leidensdruck

Doch wie schwierig das sein wird und wie hoch der Leidensdruck sein muss, damit solch drastische Maßnahmen wirklich möglich sind, zeigt das Beispiel Deutschlands vor 100 Jahren. Das Land hatte damals den Ersten Weltkrieg verloren, musste etliche wirtschaftsstarke Gebiete abtreten, wie beispielsweise Elsass-Lothringen, hatte Millionen Kriegsversehrte und Hinterbliebene zu versorgen und sollte außerdem noch riesige Summen an Reparationen an die Siegermächte leisten.

Die Inflationswelle

All das war mit den vorhandenen Einnahmen des Staates nicht zu schaffen – daher druckte dieser das Geld. Als Folge davon rollte eine Inflationswelle über das Land, zunächst langsam, so langsam, dass es kaum jemanden störte. Doch allmählich zog das Tempo an, und die wechselnden Regierungen in Berlin versuchten nun zunehmend gegenzusteuern. Es gab dabei viel Aktionismus, der am Problem vorbeiging. Aber es gab auch richtige Ansätze, und dazu gehörte im November 1922 die Ernennung eines Sparkommissars durch die Regierung unter Reichskanzler Cuno.

Vor 100 Jahren: Der Sparkommissar

Dessen Aufgabe bestand darin, den gesamten Haushalt zu durchforsten und der Regierung „Gutachten über das Ergebnis der Prüfung zu erstatten und bestimmte Vorschläge zu machen über Ersparnisse im Haushaltsplan, für eine Verbilligung und Vereinfachung der Verwaltung insbesondere auch der Verminderung des planmäßigen und außerplanmäßigen Personals, gegebenenfalls unter Aufhebung entbehrlich werdender Behörden sowie für eine wirtschaftlichere Gestaltung der Einnahmen.“ Das klingt reichlich kompliziert, bedeutete aber schlicht, dass der Sparkommissar überall nach Einsparpotenzialen suchen sollte. Denn nur wenn der Haushalt endlich ausgeglichen war, so viel war klar, konnte die Hyperinflation gestoppt werden.

Der deutsche Elon Musk?

Derjenige, der die Vorschläge dazu machen sollte, sozusagen der deutsche Elon Musk jener Zeit vor 100 Jahren, hieß Friedrich E. M. Saemisch, bis dahin Präsident des Rechnungshofs. Im Juni 1923 legte Saemisch tatsächlich eine Denkschrift vor, die auf 30 Seiten allgemeine Einsparmöglichkeiten erörterte und in einem 155-seitigen Anhang konkrete Vorschläge machte. Die Liste von Vorschlägen sah Ersparnisse bei den Ausgaben des Reichshaushalts an 60.429 einzelnen Stellen vor. Zwei weitere Maßnahmen waren die er dann unter der Regierung Stresemann durchsetzen konnte, waren mindestens ebenso wichtig.

400.000 Staatsdiener entlassen

Zum Einen wurde die Erwerbslosenfürsorge reformiert. Bis dahin wurde diese komplett vom Staat bezahlt, nun sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Beiträge jeweils 40 Prozent übernehmen, der Staat schoss nur noch 20 Prozent zu – damit wurde praktisch das heutige System begründet. Noch einschneidender – und heute kaum vorstellbar – war jedoch eine weitere Maßnahme: die Entlassung eines Viertels der Beamten. Dazu wurde die Unkündbarkeit aufgehoben, neue Beamte durften nicht mehr eingestellt, keine Beförderungen mehr ausgesprochen werden. Tatsächlich mussten bis Ende März 1924 fast 400.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Parallel dazu wurde Sparkommissar Saemisch Leiter einer Verwaltungsabbaukommission, die veranlasste, dass diverse Verwaltungswege vereinfacht und sogar ganze Verwaltungseinheiten aufgelöst wurden, etwa das Reichsministerium für Wiederaufbau.

Die Basis für die Roaring Twenties

All das führte dazu, dass ein ausgeglichener Reichshaushalt erstmals seit vielen Jahren wieder in Sichtweite war – die Voraussetzung dafür, dass nach Einführung der neuen Währung, der Rentenmark, am 15. November 1923 die Hyperinflation binnen weniger Tage gestoppt wurde und die neue Währung stabil blieb. Quasi über Nacht war der Alptraum zu Ende. Der Kahlschlag bei den Staatsausgaben, den die Regierung Stresemann durchgesetzt hatte, war ein wesentlicher Grund dafür.

Steigende Haushaltsdefizite

Heute ist die Lage der Haushalte längst nicht so dramatisch wie in Deutschland vor etwas mehr als 100 Jahren, schon gar nicht in der Deutschland, wo aktuell immer noch die Schuldenbremse wirkt. In den USA liegt das Haushaltsdefizit des Bundes jedoch seit Jahren bei sechs bis sieben Prozent der Wirtschaftsleistung, und es dürfte noch weiter wachsen. Zudem steigen die Zinsausgaben bereits jetzt erheblich an, und das Congressional Budget Office, eine überparteiliche Haushaltskommission des US-Kongresses, prognostiziert für die kommenden Jahre eine weitere, dramatische Verschlechterung der Lage.

Richtig sparen – aber wo?

Drastische Einsparmaßnahmen sind daher sicher keine schlechte Idee. Allerdings entfallen derzeit schon über zwei Drittel der Ausgaben des US-Haushalts auf Zinszahlungen, die Verteidigungsausgaben und die sozialen Grundleistungen des Staates wie Renten, Gesundheitsvorsorge und Sozialhilfe. Musk kann also vor allem bei Investitionen sparen – oder aber er muss in grundlegende Leistungen des Staates eingreifen. Es wird spannend sein zu sehen, welchen Weg er wählt, und welche Reaktionen die Schockwellen auslösen werden, die er durchs Land schicken will. Zumal der Leidensdruck in den USA eben längst nicht so groß ist wie in Deutschland 1923.

Fetter Staat, verkrustete Wirtschaft

Ich hoffe, Sie gestatten mir diesen kleinen, wie ich finde lehrreichen, Ausflug in die Geschichte. Denn Deutschland steckt nach 16 Jahren Merkel und 3 Jahren Ampel abermals tief im Sumpf. Die Wirtschaft des Industrielands Deutschland steht vor ihrer schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch den Politkern fällt nichts weiter ein, als Gesprächsrunden mit Verbänden oder Subventionen en gros einzuberufen. Dabei braucht die deutsche Wirtschaft eine Politik zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. Denn der Anstieg der Staatsdiener um fast 50% seit 2013 hat nicht nur irre Personalkosten und Pensionsverpflichtungen mit sich gebracht. Der fette Staat braucht Beschäftigung – und erfindet daher immer mehr Auflagen und Regulierungen.

67 Milliarden Bürokratiekosten vs. 0,7 Milliarden Entlastung

Lieferkettengesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Wärmeplanungsgesetz – Deutschlands Unternehmen ächzen unter immer neuen Regelwerken. Die Bürokratiekosten belasten die Unternehmen nach Angaben der Bundesregierung in diesem Jahr mit 67 Milliarden Euro. Ungebremst steigt die Regulierungsdichte. Das Bürokratieentlastungsgesetz bringt nach vielen Diskussionen eine lächerliche Entlastung von 700 Millionen.

Das pervertierte System

Die Perversität des krebsartig wuchernden Bürokratiegeschwürs habe ich fassungslos letzte Woche erleben dürfen. In einem Seminar zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sagte mir der Seminarleiter unverblümt: „Stellen Sie sich darauf ein, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung genauso wird wie die Mehrwertsteuer. Auf jedes Produkt, welches Sie produzieren, kommt ein Aufschlag für diese Regulierung drauf! Und das ist gut so, denn nur so kann man die Unternehmen zwingen, gut zu handeln.“ Auf den Einwand, dass dann ganze Industrien abwandern und im nahen oder fernen Ausland produzieren, konnte er nichts erwidern. Denn wir alle bezahlen diese Regulierungswut mit höheren Preisen, weniger Arbeitsplätzen und weniger Wohlstand.

Die renommierten Autoren einer Studie kritisieren, dass z.B. die Innovationspolitik in der EU vor allem von Bürokraten gestaltet wird, die den Politikern hörig sind, und nicht von Wissenschaftlern und Unternehmern. (Wobei auch Unternehmenslenker – das zeigt der Niedergang von VW beispielhaft, aber auch die Kurzarbeit bei FORD – der Politik hörig folgen und den Markt vergessen.)

„Kreative Unsicherheit“ als Treiber

Der eigentliche Innovationsimpuls geht jedoch von einer Kraft aus, die der Innovationsforscher Mark Taylor „kreative Unsicherheit“ nennt. Wenn sich eine Gesellschaft sicher (wie insbesondere die Deutsche und die EU) fühlt, bilden sich Interessengruppen (z.B. NGO), um Privilegien zu erlangen und zu erhalten. Der Staat wird fett und die Wirtschaft verkrustet. Eine Bedrohung von außen kann die von Interessengruppen entwickelten Trägheitskräfte brechen.

An militärischer Bedrohung durch Putins Russland und wirtschaftlicher Bedrohung durch einen wachsenden technologischen Abstand zu den USA und China mangelt es Deutschland gewiss nicht. Und auch an inneren Bedrohuungen mangelt es Deutschland und der EU nicht. Damit die Bedrohungen aber produktiv werden, damit sie zur „schöpferischen Zerstörung“ führen kann, braucht es kompetente Politiker, die den Mut haben, die notwendigen Veränderungen anzugehen. Davon ist in Berlin leider wenig zu sehen. Und in Brüssel leider erst recht nicht.

Sparkommissar für D und die EU

Daher ist die künftige deutsche Regierung ebenso wie die Verwaltung der EU ganz dringend gefordert, es Trump und Stresemann nachzumachen und ebenfalls eine/n Sparkommisar/in á la Musk oder Saemisch einzusetzen und die in den fetten Jahren geschaffenen Bürokratiemonster und aufgeblähte Verwaltung drastisch zu verschlanken. Wenn das nicht getan wird, bleiben die Kräfte der Wirtschaft weiter gefesselt und ersticken. Das kann doch wirklich keiner wollen.

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Claus van den Berg

Claus van den Berg ist seit Jahren interdisziplinär tätig. Dabei arbeitet er als Coach und berät Unternehmen, sowie Institutionen und Verbände. Sein Fokus liegt dabei auf den Menschen, ohne dabei Zahlen und Fakten außer acht zu lassen. Sein Ziel ist es Unternehmerinnen und Unternehmern aus Produktion, Dienstleistung und Industrie auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu begleiten.